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Regie in der Region - neueste Forschung zu Kooperationen in regionalen Netzwerken

Der Mensch ist ein kooperatives Wesen, entwickelte sich wie keine andere Spezies, schuf eine Welt 4.0 bis zur künstlichen Intelligenz und weltweiten Vernetzung. Kooperationen schaffen Mehrwerte, kooperieren ist rationaler als Isolation. Warum aber kooperieren Menschen in unterschiedlichem Maß und weshalb gibt es strukturelle Unterschiede in Kooperations-Netzwerken in Regionen und regionalen Branchen? Schließlich zwingen gemeinsame Herausforderungen wie Wettbewerb und Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandel (uvm.) eigentlich zu mehr Zusammenarbeit, zumal sie in der Regel als "Sozialkapital" zusätzliche Vorteile bietet. Es wäre also rationaler zu kooperieren. Wo liegen die Blockaden?
Tourismus-Soziologe Dr. Henryk Balkow von den Feuerköpfen (R) hat in einem qualitativen Forschungsprojekt Tourismusregionen und deren Beziehungsarchitekturen in Langzeit-Fallstudien erhoben, beobachtet und analysiert. In Seminaren an der Technischen Universität Ilmenau, an der Freien Universität Berlin und an der iubh Duales Studium Erfurt sowie der Universität Erfurt vermittelt dazu Kompetenzen im Kooperieren. 
Die wichtigsten Erkenntnisse und Schlüsse sind in diesem Artikel kurz zusammengefasst. Die gesamte Arbeit ist online in der Digitalbibliothek Thüringen nachzulesen.

Das Forschungsprojekt

Mit Methoden der qualitativen Sozialen Netzwerkanalyse hat Henryk Balkow in verschiedenen Tourismusregionen die Beziehungen zwischen Akteuren im Tourismus erhoben, ihre Einstellungen, Erfahrungen und Wahrnehmungen. Zusammen mit Inhaltsanalysen, zusätzlichen Expertengesprächen mit Beobachter*innen sowie einer teilnehmenden Beobachtung ergab sich eine besondere Tiefenschärfe der sozialen Beziehungen einerseits und ein größerer Zusammenhang und Verständnis im "bigger Picture". Wie in den meisten qualitativen Studien sind die Ergebnisse nicht repärsentativ für alle regionalen oder lokalen sozialen Netzwerke. Im Gegenteil: Gerade diese Studie zeigte, wie wichtig es ist, jedes einzelne Netzwerk als für sich organisch gewachsene und sich verändernde Beziehungsarchitektur zu betrachten. Jedes Netzwerk hat unterschiedliche Menschen, soziale Rollen und Identitäten, andere Rahmenbedingungen und Herausforderungen, dazu unterschiedliche Wahrnehmungen, Interpretationen und Stories. Im Rahmen der Studie wurde diese in so genannten Netzwerkkarten visualisiert, miteinander in einen Zusammenhang gebracht und somit vor allem eine zentrale Frage fokussiert: Wie kommen die unterschiedlichen Kooperationsmuster zustande? Was fördert sie, was blockiert oder hemmt sie? Denn rational wäre es, wenn jeder mit jedem voll kooperiert, um gemeinsam die Wohlfahrt für alle abzusichern oder zu verbessern.

In Kürze: 5 wesentlichen Erkenntnisse

  • Oft identifizieren sich Menschen noch gar nicht mit einem Netzwerk, zu dem sie mehr oder weniger bereits gehören. Die Identifizierung mit einem sozialen Netzwerk als Gruppe, der man angehört, ist jedoch eine wesentliche Vorraussetzung, um sich verantwortlich und angesprochen zu fühlen. Die Zugehörigkeit drückt sich nicht nur kognitiv auf dem Papier aus, sondern auch emotional. Was macht die Zugehörigkeit aus und wahrnehmbar?
  • Soziale Netzwerke und ihre Funktion bzw. Nutzen werden auch durch ihre Regeln und Normen wahrgenommen, zum Beispiel wenn sie für Gerechtigkeit bei der finanziellen oder Arbeits-Beteiligung oder bei der Verteilung von Vorteilen schaffen.
  • Soziale Netzwerke brauchen Vertrauen. Vertrauen wächst aus Gelegenheiten, sich anzunähern und zu zähmen wie beim Fuchs und dem Kleinen Prinzen in der gleichnamigen Kindergeschichte. Vertrauen ist zudem die Summe nicht enttäuschter Erwartungen, wird sehr subjektiv wahrgenommen und reflektiert. Vertrauen ist beim Sozialkapital einer der wichtigsten Werte und meistens mit Erfahrungen und Stories verbunden. Das ist gleichermaßen eine Chance, kann aber auch eine Blockade sein, wenn Erfahrungen schlecht waren. Gelegenheiten für solche Erfahrungen können beispielsweise gemeinsame Events für eine Tourismusregion sein, die mehr Gäste bzw. neue Zielgruppen mit sich bringt und gleichzeitig das gemeinsame kulturelle Leben im Dorf verbessert.
  • In sozialen Beziehungsarchitekturen gehen Impulse für neue "Brücken" und Verbindungen von Initiativen einzelner Akteure aus. Gerade in Branchen wie dem Tourismus, in der das Konkurrenzdenken (und manchmal auch der Sozialneid) stark ausgeprägt sein können, gehen Akteure oft nicht von allein aufeinander zu und schlagen Kooperationen vor. Hier sind moderierende (nicht nur vermittelnde) Rollen von Menschen mit besonderen Kompetenzen hilfreich. Manchmal müssen Konflikte oder Barrieren gelöst, Informations-Ungleichgewichte ausbalanciert oder Vorurteile abgebaut werden. Diese sozialen Kompetenzenund das notwendige Vertrauen sind bei Menschen unterschiedlich ausgeprägt. Man muss sich die bedeutende Rolle wie die Dirigentin eines Orchesters vorstellen. Sie selbst gibt keinen Ton von sich ab, sie holt die Musik aus den Instrumenten und den Musikern heraus, indem sie diese zunächst kennenlernt (beobachten, zuhören, verstehen), ihre Kontraste und Stärken erkennt und dann eine Musik schreibt, bei der jeder zu rechten Zeit in der rechten Lautstärke und dem passenden Tempo seinen Einsatz spielt. Schließlich gehören auch konstruktive Feedbacks (Resonanz, Anerkennng) dazu sowie der Zusammenhalt untereinander (aufeinander achten). So können Beziehungsnetzwerke aktiv gestaltet werden.
  • Ja, der Mensch bringt die natürliche Veranlagung zur Kooperation mit, aber er muss sie in der Gemeinschaft lernen und ihre Vorteile (gegenüber den nachteilen) positiv erleben und erfahren. Das sind sowohl kognitive Prozesse als auch emotionale. Deshalb ist stets zu bedenken, dass es keine allgemeinen, objektiven Kriterien, Methoden oder Modelle für erfolgreiche Netzwerke gibt, sondern es letztlich auf die jeweilige menschliche Zusammensetzung ankommt. Dennoch können bestimmte Instrumente diese Prozesse unterstützen, beispielsweise Open Space Methoden wie das "World Café" oder ein "Barcamp"


    Netzwerke bilden und verändern sich nicht in kurzer Zeit und auch nur schwer kalkulierbar oder steuerbar. Sie näher zu beobachten und zu evaluieren, hilft aber, sie besser zu sehen und verstehen. In der Sozialen Netzwerkanalyse lassen sich sowohl Gesamtnetzwerke als auch Teilnetzwerke oder einzelne Netzwerke von Akteuren untersuchen. Dabei geht es nicht um die Anzahl von Kontakten, sondern auch deren Qualität und inhaltliche "Ladung". Wenn Sie mehr über die Studie und die qualitative Netzwerkforschung in Regionen erfahren möchten, können Sie mit Autor Dr. Henryk Balkow auch Kontakt über Xing oder LinkedIn aufnehmen. 

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