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Resonanz: auf Hartmut Rosas Wellenlänge

von Dr. Henryk Balkow

in Gedenken an Prof. Dr. Heinrich Fink

Jeder von uns hat ein unterschiedliches Verhältnis zu ihrer oder seiner Welt da draußen. Das bestimmt unsere Sichtweise und unser Handeln in jeder Situation. Jede und jeder von uns hat ein unterschiedliches Beziehungsgeflecht, das dieses Verhältnis wie feine Fasern ausmacht. Der Soziologe Hartmut Rosa nennt sie Resonanz-Achsen. Sie sind wie innere Flussbette mit Antwort-Beziehungen belebt oder manchmal auch ausgetrocknet. Lebendig oder stumm verändern und formen sie uns. Für Rosa nichts geringeres als der Schlüssel zu einem gelingenden Leben.

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Als ich vor wenigen Wochen nach langer Zeit einen alten Freund zufällig in meinem Viertel wiedertraf, erzählte dieser mir von einem Klassentreffen seines Jahrgangs, zu dem ich um Weihnachten als ehemaliger Mentor eingeladen war. Ich konnte mich daran nur noch wenig erinnern, aber er dafür umso mehr. Denn dieser Abend prägte sein Leben.

Eine Geschichte, die ich damals von einem anderen Freund erzählte, berührte und bewegte ihn sehr. Es war die Geschichte von Ronny K., einem Informatiker mit großem Herz für Menschen und für Freiheit. Alle Freunde nannten ihn „Chillfried“, weil er eine so entspannte Art hatte, das Leben zu sehen und zu nehmen wie es eben kommt. Er fand einen guten Job als Programmierer und alle waren irgendwie auch froh, dass er als gemütlicher Chaot nun doch irgendwie eine Spur gefunden hatte. Dann war er plötzlich weg.

Alle machten sich Sorgen, die Kollegen von der Arbeit riefen an. Niemand wusste, wo Ronny war. Ein halbes Jahr später rief er plötzlich an – aus Spanien. Glücklich wie ein kleiner Junge an Weihnachten erzählte er den von Sorgen erfüllten Freunden, dass es ihm gut gehe. Ihn habe damals spontan das Fieber nach Freiheit und Abenteuer gepackt, das routinierte Arbeiten und Programmieren in einem Betonklotz war nichts für ihn. Hitzköpfig packte er seine Sachen, stellte sich an der Autobahn A4 Richtung Südwesten auf und ein LKW nahm ihn mit nach Spanien. Alle schauten sich nur an und fragten völlig verwundert, wie er denn sein Leben und den tollen neuen Job einfach so aufgeben konnte, ob er denn verrückt sei. Und da sagte Ronny einen Satz, der für mich eine Tiefe und Fallhöhe hatte wie kein anderer Satz mehr danach. Bis heute, seit fast 20 Jahren erzähle ich diese Geschichte und diesen Satz meinen Schüler*innen, Studierenden, meinen Freunden, Familie – immer, wenn es darum geht, was im Leben wichtig ist. Auf unsere Frage, warum er das getan hatte, antwortete Ronny: „Aber ich hab‘ doch nur 70 Sommer“.

Die Resonanz-Reichweite dieser Begegnung und dieser Geschichte ist für mich schon lange nicht mehr erfassbar, geschweige denn messbar. Immer wieder kommt der Satz wie ein Boomerang zurück. Er hat sich verbreitet und ich weiß von einigen Menschen, denen dieser Satz wie mir nicht mehr aus dem Kopf geht, weil er wie ein Stachel tief unter der Haut sitzt und daran erinnert, dass die ganze Show eines Tages oder auch plötzlich vorbei sein kann.

Eigentlich eine sehr triviale Information, aber wir verdrängen sie gern im Alltag, weichen ihr aus, glauben wir doch, uns wie Götter bis zur Unsterblichkeit zu optimieren. In diesem einen Satz kommt die nackte Wahrheit aber wie ein Meteor zurück aus der Umlaufbahn, fällt und hinterlässt seine Spuren und Schwingungen.

Der eingangs erwähnte Freund, den ich in meinem Kiez traf, erzählte mir, dass er wenige Tage nach diesem Abend den Mut fasste, einem lange unterdrückten Gedanken die Freiheit zu geben, dem Gefühl zu folgen. Er trennte sich von Ballast und ging auf Reisen.

Bis vor kurzem machte ich mir darüber keine Gedanken. Dann stieß ich in den letzten Zügen meiner Doktorarbeit auf Hartmut Rosa. Ich hatte mich mit sozialen Beziehungsarchitekturen von Menschen in Regionen mit Blick auf ihr Kooperationsverhalten beschäftigt. Die Resonanz-Theorie hörte aber mit dem Abschluss der Forschungsarbeit noch nicht auf zu schwingen.

Hartmut Rosas Resonanz-Theorie eingebettet in den "Goldenen Kreis" nach Simon Sinek

Ich greife in vielen Workshops darauf zurück und auch mein privates Umfeld bleibt nicht verschont. Dabei geht es mir ähnlich wie Hartmut Rosa. Dieser Denkansatz klingt nicht wie eine in sich geschlossene Theorie mit einem klaren Echo. Hartmut Rosa hat sie im Gehen entwickelt und sie wächst gerade organisch in alle Richtungen und sucht sich ihre Adern oder bahnt sich ein neues Flussbett in vielen praktischen Anwendungen wie auch wissenschaftlichen Disziplinen.

So langsam verliere auch ich den Überblick und so versuche ich hier, kurz die wesentlichen Erkenntnisse dieser Theorie zu erklären und anhand eigener Erfahrungen weiterzudenken – in der Hoffnung, dass auch viele andere Menschen die Impulse dieser Theorie aufnehmen und mitschwingen. Bei den Anwendungen greife ich im wesentlichen auf meine Erfahrungen in der Sozialen Arbeit und der Medienpädagogik mit Heimkindern und Familien aus einem Kinder- und Jugendhospiz zurück. Aber auch Erfahrungen aus Seminaren mit Studierenden, aus der Betreuung von Seminarfachgruppen an Schulen sowie Erfahrungen aus meiner Zeit als Journalist sollen hier beispielhaft zeigen, was die Resonanz-Theorie uns an Erklärungen bietet.

Warum ist das wichtig? Seine Theorie macht uns etwas sichtbar, was augenscheinlich meist unsichtbar bleibt, aber sehr wirkungsvoll ist – im Guten wie im Schlechten. Wie wirkt sich das, was wir tun und was wir nicht tun und wie wir etwas tun auf unsere Welt aus? Macht das alles überhaupt Sinn? Wie wirkt sich diese Welt wiederum auf uns, unser Selbstbild, Selbstvertrauen aus? Wir wissen um unsere gestiegene Konnektivität. Aber was fangen wir damit letztlich an?

Zunächst: Das ist und bleibt alles ein sehr dynamischer, wechselseitiger Prozess. Bisher verstehen wir die Muster und deren Veränderungen nur lückenhaft. Mit der Resonanz-Theorie will Hartmut Rosa vor allem der Frage nachgehen, warum Menschen sich so verhalten wie sie sich verhalten. Wir kennen hierzu bereits einige Erklärungsansätze wie beispielsweise „Rational Choice“ aus den Sozialwissenschaften, den „Homo Oeconomicus“ aus der Ökonomie oder auch Verhaltenstheorien aus der Psychologie und den Neurowissenschaften, beispielsweise in der Betrachtung der Spiegelneuronen.

Keine dieser Theorien hat bisher eine universelle, integrere Antwort auf die Frage nach dem „Warum“ des menschlichen Verhaltens geben können, die allseits akzeptiert wird, die wir vielleicht sogar im Alltag adaptieren könnten. Mit der Resonanz-Theorie gelingt es Hartmut Rosa allerdings, in der Menschheitsgeschichte einen besonders großen Bogen zu spannen - und gleichzeitig zu den Naturwissenschaften. Resonanz oder Vibrationen sind bereits aus alten, fernöstlichen Religionen bekannt als Beginn von Welt. Und auch die Welt der Naturwissenschaften ist ohne Schwingungen nicht denkbar. Ganz zu schweigen von der Musik. Selbst der Volksmund weiß, „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück.“

Resonanz ist ein Begriff, den wir im Gebrauch vorwiegend mit der Physik und der Musik verbinden. Daran lässt sich auch die soziale Adaption Rosas ganz gut erklären.

In der Physik können Schwingungen auch erzwungen sein. GIF: Wikipedia

Betrachten wir uns also mal eben als Körper und die uns umgebende Umwelt, also nicht gleich den ganzen Globus, sondern eher den Weltausschnitt. Wir leben in einer Zeit von nie dagewesener Verbundenheit. Alles scheint mit allem wie ein großes Geflecht zusammenzuhängen.

Bereits in der Kindheit, vermutlich sogar schon im Mutterleib beginnen wir, zu dieser Umwelt um uns eine Beziehung zu entwickeln. Die wird zunehmend komplexer, je mehr Welt wir in Reichweite bekommen. Wir bilden so genannte Resonanz-Achsen aus und Resonanz-Achsen erreichen uns, wenn wir sie zulassen. Rosa unterscheidet horizontale, vertikale und diagonale Achsen.

Horizontal bilden Achsen zu Freunden, Familie, Kollegen und anderen Menschen unsere soziale Welt, die wir in Reichweite bringen. Diagonal bringen wir Dinge in unsere Reichweite wie beispielsweise Materielles, das uns Freude oder Befriedigung bereitet oder schlichtweg Geld. Der Einkauf im hippen Möbelhaus, die Bestellung beim Online-Händler, die unendliche Musikdatenbank im Streamingdienst. Überall ein Überangebot an verlockenden Dingen, die vermeintlich zu uns sprechen und Befriedigung verschaffen. Auch die Selbstoptimierung im Fitness-Training, das erste Auto, der höhere Bildungsabschluss und Englisch zu beherrschen sind Dinge, die uns die Welt in Reichweite bringen und so zu Resonanz-Achsen werden. Die vertikalen Achsen verbinden uns mit höheren Zusammenhängen wie einer religiösen Gemeinde, einem Gott oder anderen Glauben oder im schlimmsten Fall einer Ideologie oder sonst einem schädlichen Ismus. Diese Achsen sind wie Adern, die aus vielen kleinen Kapillaren bestehen.

In Hartmut Rosas Sprache: Antwort-Beziehungen als Welt-Beziehungen. Das ist aber nicht wie in der Physik nur eine starre Aktion-Reaktion-Beziehung. Wenn ein Körper eine Vibration aussendet, kommt das ja auch nicht 1:1 als Echo wieder zurück, sondern auch andere Körper drum herum nehmen diese Schwingung auf, verarbeiten sie und geben sie gefiltert weiter. Wir Menschen hören, sehen, riechen, fühlen, schmecken und geben eigenständige Antworten, keinen einfachen Widerhall. Die Welt antwortet uns. Sie steht nicht starr da draußen vor uns. Sie berührt uns.

Wenn ich in einem Konzertsaal sitze und Mozarts Requiem höre, dann lösen die Vibrationen der Instrumente in mir, in jeder und jedem im Publikum oder im Orchester oder später auf Youtube vor dem Bildschirm sehr unterschiedliche Reaktionen aus. Auch die Reaktion des Publikums am Ende der Sinfonie bleibt von den Musikern nicht ungeachtet. Sie bestätigt oder lässt zweifeln, sie beflügelt oder betäubt. Das lässt sich natürlich auch alles neurowissenschaftlich und psychologisch erklären. Das ist aber gerade eine der besonderen Leistungen von Rosas Resonanz-Theorie: Sie vernetzt die Erkenntnisse aus Wissenschaften, die bisher in parallelen Welten beinahe beziehungslos forschten. Es ist der Versuch einer universelleren, einfachen, verständlichen und akzeptablen Verhaltenstheorie, in der die verschiedenen Strömungen wie in einem Flussdelta münden können.

Das besondere bei Rosas Resonanz-Theorie ist, dass nicht die schwingenden Objekte selbst im Fokus stehen, sondern vielmehr die scheinbar unsichtbaren Beziehungen dazwischen. Weil diese so schlecht messbar sind, sind sie eben auch zu wenig erforscht. Schließlich lernen die meisten Wissenschaftler*innen mantraartig „Wenn Du es nicht messen kannst, existiert es auch nicht“.

Die Beziehung, die Rosa interessiert, ist auch nicht die soziale Beziehung zwischen A, B und C. Die wäre leicht messbar durch empirische Sozialforschung und ist auch vielfach in der sozialen Netzwerkanalyse untersucht worden.

Für Rosa sind soziale Beziehungen eines Menschen unmittelbar verbunden mit dessen Weltbeziehung, die wiederum maßgeblich seine Einstellung zur Welt prägt und durch welche Brille sie oder er diese wahrnimmt. Mit genau diesem Ansatz lässt sich das „Warum“ menschlichen Verhaltens erklären. Wie oft haben wir schon versucht, die Aktion oder Reaktion von jemandem zu verstehen. Wir müssen den Blick weiten: Wir sind alle soziale Wesen, eingebettet in soziale Strukturen. Es macht daher immer Sinn, nach dem Warum zu fragen.

Die Welt kann auch mal stumm bleiben und je nach Situation wollen wir das oder nicht.

Manchmal bekommen wir nicht die erwartete oder erhoffte Resonanz oder halten selbst Resonanz zurück. Wir können jemanden „Ghosten“ und mit völliger Ignoranz begegnen. Diese Person wird sich – auch ohne Kommunikation oder Interaktion in Schwingung versetzen, weil eine Resonanz verweigert wurde. Ebenso können wir einen Menschen mit unserer Resonanz überhäufen, aufgehen in einer Resonanzbeziehung, indem wir uns völlig in der Frequenz der Anderen eintakten. Der Philosoph Friedrich Hegel nannte dies „im Anderen ganz bei sich selbst sein“. Irgendwann überlagern sich die Schwingungen womöglich und erreichen einen toten Punkt.

Das ist das fatale an den Resonanzbeziehungen: Sie sind im Prinzip nicht kontrollierbar. Es ist kein lineares Senden und Empfangen. Es ist kein Actio und Reactio, bei dem wir mit einer Formel berechnen können, wie viel Aufmerksamkeit und Anstrengung wir in eine Beziehung investieren müssen, bevor sie wie ein Gartenbeet die erwarteten Früchte hervorbringt. Vor allem lassen sie sich nicht maximieren und widersprechen damit unserem Prinzip des Wirtschaftens, das zunehmend auch unser gesellschaftliches Betriebssystem geworden ist – und so nicht funktioniert.

Unsere sozialen Beziehungen und unsere Antwortbeziehungen zur Welt sind messi, völlig chaotisch und verändern sich ständig nach Prinzipien, die wir nur bruchstückhaft durch Erfahrung und ein paar empirischen Daten zusammenzureimen versuchen. Dabei strebt der Mensch nach sozialer Kontrolle, nach Identität in seinem Beziehungsmuster. Das ist sein Vertrauen zur Welt, zur Heimat, zur Familie, dem Verein, dem Freundeskreis, der Community im Computerspiel, wo auch immer.

Das Vertrauen trägt uns, bestimmt unser Selbstvertrauen. Hartmut Rosa argumentiert, dass wir in eine Welt hineingeboren werden und hineinwachsen, die uns eher freundlich oder eher feindlich gegenüberstehen kann. Genau diese Antwortbeziehungen auf uns und unser Verhalten prägen unsere Persönlichkeiten immens. Sie können Ängste fördern und uns damit lähmen und quälen oder uns Mut machen und zur Entfaltung unseres Selbst, unserer wahren Berufung verhelfen. Sie können uns Flügel bauen oder sie stutzen. Man nehme ein Kind und mache es zum Star. Man nimmt dem Kind gesunde soziale Beziehungen zu Gleichaltrigen und zur Welt und macht sein Selbstwertgefühl abhängig von der Resonanz eines Publikums. Verstummen die Millionen Zuschauer oder tausende Konzertbesucher, fällt der oder die inzwischen Erwachsene in ein tiefes Loch, das Selbstwertgefühl ertrinkt im Rausch des Alkohols oder Drogen, weil das Rauschen der Resonanz des Publikums verstummt. Wie oft gab es diese Geschichte schon bei Schauspielern oder Musikern. Die uns umgebende Resonanz ist elementar – nicht nur für Kunstschaffende. Eine Reinigungskraft oder ein Pfleger leben von Resonanz ebenso wie eine Erzieherin oder eine Wissenschaftlerin.

Wenn wir mit unserer Umwelt kommunizieren, machen wir das auch, um Unsicherheit zu reduzieren. Kommen wir mit unseren Botschaften durch? Reagiert die Welt da draußen wohlwollend auf uns oder will sie uns schaden? Bin ich gut genug (in einer von Wettbewerb geprägten Welt)? Kann ich mich ausprobieren und ändern? Mache ich mich angreifbar? Grenzen sich Menschen von uns ab, weisen sie uns ab oder öffnen sie sich und ihr Haus für uns? Wem kann ich vertrauen und wem nicht?

Dieses Mindset beeinflusst uns alle, Tag für Tag, die meisten unserer Entscheidungen. Selbst die Frage nach dem „Wer bin ich und warum?“ lässt sich in Resonanz-Beziehungen spiegeln. In einer Gemeinschaft, einer Familie, einem Verein oder dem Freundeskreis Verantwortung zu übernehmen, verstärkt Antwort-Beziehungen und füllt den leeren Raum fehlenden Selbstbewusstseins. Er wird zum Resonanzraum und spiegelt, wie man von anderen gesehen wird und diese Schwingungen stärken das Selbst bei seiner Findung und Entwicklung oder übersteuern es im schlimmsten Fall. Mal sind wir durchlässiger, mal absorbieren wir Signale, die uns erreichen. Mal ignorieren oder weisen wir Signale zurück. Wir schwingen je nach Situation und Verfassung mit oder eben nicht. Dabei machen wir Erfahrungen, die weitere Kreise im Handeln nach sich ziehen.

Der Kleine Prinz lernt vom Fuchs, was Freundschaft bedeutet. Autor: Antoine de Saint-Exupéry

Und da wir Menschen sind und Menschen oft nach sozialer Kontrolle und damit Sicherheit streben, versuchen wir, uns Dinge oder Menschen „anzuverwandeln“ in Rosas Sprache. Dieser Prozess lässt sich auch sehr schön in der Geschichte vom „Kleinen Prinz“ erzählen. Der Fuchs erklärt dem kleinen Prinzen, was Freundschaft bedeutet und sich gegenseitig zu zähmen. Sozusagen, seine Resonanz auf dieselbe Wellenlänge bringen – oder diese besteht bereits und man versteht sich auf Anhieb wortlos. Man beginnt, sich zu öffnen, sich erreichbar, aber auch verletzbar zu machen. Man traut sich, authentisch zu sein, fasst Mut, sein Selbst zu finden und dem Selbst zu folgen, auch in Unsicherheit. Man fühlt sich nicht allein, man fühlt sich verbunden. Eines der schlimmsten Gefühle ist es, unverbunden zu sein. Welt ist nicht mehr verfügbar, außer Reichweite. Kein Netz.

Demgegenüber kann eine Netzüberlastung, eine soziale Reizüberflutung uns bis ins Burnout treiben und wir landen in einem Kloster bei einem teuren Managerseminar ohne Handyempfang und lernen „Nein“ zu sagen. Wir machen uns selbst unverfügbar und grenzen uns erst einmal ab, bis wir vorsichtig wieder eine Resonanz-Achse zur Welt zulassen.

Wir bringen die Welt auf Abstand, reduzieren den Rausch, auf den wir bisher nicht verzichten konnten, der uns Angst machte, weil die Welt verstummen könnte, uns schweigend gegenübertritt. Wir ignorieren erst, dann wird unser Bewusstsein wach und wir blicken wieder neugierig in die Welt und filtern selektiv und smarter unsere Resonanz-Beziehungen. Wir priorisieren Antwort-Beziehungen nach ihrer Resonanz, der "Homo Oeconomicus" vielleicht nach seiner Nützlichkeit oder der Gläubige nach seiner Moral. Wir steuern unsere Reichweite von Welt.

Gleiches tun wir auch, wenn wir wie in Hermann Hesses Buch "Peter Camenzind", unser kleines, geliebtes Bergdorf verlassen, weil uns alles dort zu eng erscheint, vor allem die Fußstapfen und Pfade der Familie und Gemeinschaft. Und wir suchen unser Glück nicht mehr in den bekannten Strukturen, sondern in größeren, fremden Strukturen, der Welt da draußen. Andere suchen danach in den Weiten des World Wide Web. Wir wollen unsere Reichweite, unseren Resonanzraum vergrößern, den Abstand zur Welt verringern. Im Internet entpuppt sich diese Verlockung für viele als Illusion, die Welt bleibt stumm oder kalt. Andere bekommen Millionen Follower und fühlen sich trotzdem nicht erfüllt. Vielleicht antwortet uns diese verlockende Welt da draußen mit einem Plattenvertrag und einem Leben als millionenschwerer Rapper in Berlin. Vielleicht landen wir in einer Casting-Show, die uns viel Resonanz verspricht (und gibt) und dann spuckt sie ihre Kinder am Ende der Verwertungskette wieder aus und was bleibt, ist ein großer, stummer Hohlraum ohne Resonanz und eine tiefe Depression. Einmal Star und zurück.

Vielleicht hört auch nie jemand unsere Musik und unsere Texte und wir kehren aus der Fremde doch wieder heim und studieren Lehramt, um etwas Sicherheit zu bekommen und spürbare Resonanz, geliebt und gebraucht zu werden. Wir verkleinern den Resonanzraum, um wieder eine Antwort zu spüren. Geschichten wie diese gibt es Millionen, von Generation zu Generation. Wir eignen uns per "Trial and Error" immer wieder diese Kompetenzen an. Sie sind allerdings kulturell in einer beschleunigten Welt kaum noch als Blaupause zum gelingenden Leben übertragbar.

Soviel ist relativ sicher: Schwingungen sind unendlich in ihrer Reichweite und Wirkung, das können wir mindestens dem Energieerhaltungssatz entnehmen, bestenfalls sogar der eigenen Erfahrung. Den Verfasser dieser Theorie, Justus Robert von Mayer, kennt kaum jemand - seine Handlung schwingt aber bis heute nach. Und unter uns Menschen haben wir herausgefunden, „man kann nicht nicht kommunizieren“. Damit wollte uns Paul Watzlawick daran erinnern, dass wir ständig Signale senden und empfangen, ob wir wollen oder nicht. Der Satz „Man hat nur 70 Sommer“ ist als Ohrwurm fest in meinem Mindset verankert.

Was von dieser Resonanz können wir beeinflussen, wenn auch nicht gänzlich kontrollieren? Darauf habe ich, ebenso wie Hartmut Rosa, keine klare und abschließende Antwort. Ich kann auch nur Impulse aus Erfahrung beitragen und hoffen, dass diese gemeinsam mit anderen Erfahrungen im Flussdelta der Theorie einen kleinen Beitrag leisten können.

Die erste Resonanz-Achse, die ich für die beispielhafte Anwendung öffnen will, ist die meiner Antwortbeziehung zu meinem ursprünglichen Beruf. Ich habe mit 17 Jahren angefangen, als freier Journalist zu arbeiten.

Der Impuls war zwei Jahre zuvor meine eigene Schülerzeitung, die mir ältere Schüler mit gerade mal 15 Jahren anvertraut hatten. Das war ein Wendepunkt für mich. Eigentlich wurde ich in eine Welt geboren, die ich mir nicht aussuchen konnte, in zerrütteten Familienbeziehungen, in der mir die Welt teilweise feindselig gegenüberstand. Beschützt haben mich lediglich meine Mutter und mein Bruder, dann auch Freunde. Das waren meine ersten Resonanz-Achsen, zu denen sich das stärkste Vertrauen überhaupt entwickelt hat. Nicht jeder hat das Glück, wie ich, eine Mutter zu haben, die Dir immer die Resonanz gibt, trotzdem geliebt zu werden und immer da zu sein. Ich kenne Mütter und Väter, die ihre Kinder nur anschreien oder ignorieren. Was soll diese Art von Resonanz wohl aus einem kleinen, wachsenden Wesen machen? Meine Welt war ein kleines Dorf, indem ich mich als Außenseiter fühlte, vor allem als ich zum Abitur in die nahegelegen Stadt fuhr und auch in der Familie fühlte ich mich nicht geborgen. Ich fühlte mich unsicher, wer ich bin und warum.

Demgegenüber tat sich nun mit der Schülerzeitung (nachdem ich mich vergeblich an einem Instrument und mehreren Sportarten abarbeitete) eine ganz neue Welt auf. Eine Welt, in der man sich weniger ergeben oder ohnmächtig fühlt. Im Sport schaffte ich es nie auf ein Siegertreppchen und für die Plätze 4 bis unendlich gab es keine Resonanz. Am Instrument hatte ich immer nur Angst, meine Akkordeon-Lehrerin würde mit mir schimpfen, weil ich mich wieder verspiele und vertraute nie auf mein Unterbewusstsein. Vor Publikum bekam ich noch mehr Angst, mich zu verspielen. Die Lehrerin sagte nie, wenn ich etwas gut gespielt hatte, sie suchte immer nach Fehlern und nur darauf gab es Resonanz. Dann war da meine Deutsch- und Kunstlehrerin, die auch mal vor Ergriffenheit weinen konnte, wenn man etwas Gutes geschrieben hatte oder seine Fantasie einsetzte. Hier bekam ich positive Resonanz und ich schrieb weiter - und wurde irgendwann Schülerzeitungs-Redakteur. Ich lernte neue Menschen und Horizonte kennen, neue Freunde. Mein Resonanzraum vergrößerte sich. Ältere traten mir mit Respekt gegenüber. Mehr Welt rückte in meiner Reichweite.


Im Verein erlebt man Zugehörigkeit, kann eigene Stärken und Entwicklungsfelder erfahren, Welt resonant gestalten und Freunde fürs Leben "anverwandeln".

Ich wurde Mitglied in einem Medienverein und mit 18 in einen Vorstand gewählt, von Älteren, die mich förderten und mir Vertrauen und damit Selbstvertrauen schenkten. Als ich in diesem Jahr auf einem Festival als Reporter Charlotte Roche interviewte und sie mir anschließend sagte, das sei das beste Interview ihres Lebens gewesen, war ich total motiviert und sicher, meinen Weg gefunden zu haben und die Resonanz-Achse zu meiner Arbeit wurde immer stärker. Die Welt stand mir nicht mehr feindlich und ich ihr nicht mehr ohnmächtig gegenüber. Wir hatten unseren Takt, unsere Wellenlänge gefunden. Langsam begann ich, ihr zu vertrauen und damit mir selbst.

Charlotte Roche beim Splash!-Festival 2000 nach dem Interview

Ich dachte dann völlig euphorisiert, als Journalist könnte ich die Welt verändern. Nein, das konnte ich letztlich natürlich nicht. Den naiven Glauben daran bereue ich trotzdem nicht. Ich brauchte viele Jahre, um mich von der Utopie zu lösen und fand in der Lehre an Hochschulen und im Verein meine eigentliche Berufung. Bildung mag nicht so eine hohe quantitative Reichweite haben, dafür aber eine qualitative. Bildung ist damit neben Familie, Freunden, Journalismus, Gott und Natur meine sechste, wichtige Resonanz-Achse.

Ich hatte knapp 40 Seminarfach-Gruppen betreut und dabei so viel erlebt, dass ich allein darüber mehrere Bücher hätte schreiben können, vor allem über das Versagen des Bildungssystems. Schüler*innen oder Student*innen Team- und Projektarbeiten zu überlassen, ohne sie richtig darauf vorzubereiten und den Prozess als Mentor*in wie eine Gärtnerin beim Wachstum ihrer Pflänzchen zu begleiten, ist nicht nur lieblos, sondern grob fahrlässig und folgenhaft fatal.

Ich hatte Seminarfachgruppen, in denen junge Menschen persönlich wunderbare Entwicklungsfelder hatten, aber von den Lehrer*innen dann vernichtende Resonanzen bekamen. An der einen Schule war es, weil das Ergebnis der Arbeit zwar wissenschaftlich korrekt war, aber nicht in das moralische Weltbild der evangelischen Ausrichtung passte. An der anderen Schule eine Lehrerin, für die Sarah und (ein anderer) Ronny G. von kleinauf immer nur „3-er-Schüler“ waren, also konnte ihre Verbesserung nicht sein, weil es nicht in ihr Weltbild passte. Und dann war da die Seminarfachgruppe, die sich innerlich zerstritten hatte, den Konflikt allein nicht lösen konnte und dafür von der Lehrerin noch mit schlechten Noten abgestraft wurde als ob es nicht ihr Versagen gewesen wäre.

In allein drei genannten Beispielen war ich letztlich nicht nur Fachbetreuer, sondern wurde zum Verbündeten und Freund. Der Schaden, den Lehrer*innen hier angerichtet hatten, war enorm, ungerecht und völlig unnötig. Vielleicht haben sie irgendwann die Wellenlänge zu ihren Schülern ganz verloren. Vielleicht hatten sie nur ihren eigenen Schmerz, negative Schwingungen aus einer unbefriedigten Ehe oder Arbeit mit in den Klassenraum gebracht, sich nicht mehr von den Vibrationen ihrer Schüler berühren lassen. Mich hatte es sehr berührt, wie die Antworten der Lehrer*innen auf das Engagement der Schüler*innen ein Stück Weltbeziehung zerstörte und damit eine wachsende Persönlichkeit. Liebe und Anerkennung wären eine bessere Antwort gewesen als „Du bist nicht gut genug, egal wie sehr Du Dich bemühst“.

Ich kann mich noch an einen sehr herzlichen Brief der Eltern erinnern, der mir die Tragweite erst ins Bewusstsein rückte. Die Weltbeziehung dieser jungen Menschen wurde durch Willkür, Desinteresse, Abweisung oder Fahrlässigkeit erheblich zerrüttet. Noch Jahre später traf ich die Schüler*innen und sie erzählten mir emotional wie stark diese Erfahrung der Willkür und Resonanz nachhallt. Inzwischen ärgerten sie sich, nicht vor Gericht gegangen zu sein und um ihr Recht gekämpft zu haben. Gerichtsverfahren sind ein sehr spannendes Feld der Weltbeziehungen, weil es hier um Gerechtigkeit geht die oft nur eine gefühlte ist und hier verdinglicht wird. Aber das ist nochmal ein Artikel für sich.

Nun, diese Erfahrungen mit Pädagog*innen, die offensichtlich ihre Berufung verfehlt oder verloren haben, ist auch an mir nicht spurlos vorbeigegangen. Man wird als Pädagoge achtsamer, entwickelt ein Bewusstsein für Beziehungen, wenn das geht. Ich möchte heute kein Grundschullehrer mit 30 Kindern wie ein Flohzirkus in einer Klasse sein und dann innerhalb von 45 Minuten eine bestimmte Menge Stoff vermitteln.

Als Hochschullehrer habe ich zum Glück mehr Freiheiten. Ich beginne eine Einführungsvorlesung mit Studierenden nicht mit einem Foliensatz voller Zitate, Modelle und Theorien. Ich nehme mir Zeit, die Menschen kennenzulernen, frage, warum sie das machen was sie machen und warum sie das studieren, was sie studieren und worauf es ihnen ankommt. Als Corona die Lehre digitalisierte, war das anfangs schwierig. Viele hatten ihre Kameras aus und saßen irgendwo in Berlin, ich saß in meinem Büro in Erfurt. Wie soll man da Resonanz-Beziehungen aufbauen? Also startete ich vor jedem virtuellen Seminar eine Wohlfühlrunde, in der wir darüber gesprochen haben, wie es uns geht, auf welcher Wellenlänge wir heute unterwegs sind. Irgendwann machten alle ihre Kameras an, wollten dabei sein, fühlten sich verbunden. Zuhören, fühlen und verstehen ist der Schlüssel, um die Frequenz zu finden, auf der wir gemeinsam eine bestimmte Zeit resonant mitschwingen.

Studierende der Freien Universität Berlin erlebten Resonanz, indem sie im Seminar eine eigene Immatrikulationsfeier für Hunderte Erstis planten und realisierten.
Resonanter Beziehungsaufbau im Seminar, beispielsweise mit dem "Gordischen Knoten", einem Gruppenspiel aus der Erlebnispädagogik.

Das geht natürlich nicht, wenn ich Vorlesungen vor 500 Studierenden in einem überfüllten, weitläufigen Hörsaal gebe. Deshalb mache ich das auch nicht. Weil ich eine Wahl habe und mich dagegen entscheide, weil diese Art von Resonanz-Raum mich nicht erfüllt. Es mag Dozenten geben, die brauchen ihren Auftritt vor großem Publikum. Mir bedeuten herzliche und dankbare Rückmeldungen von Studierenden für ein gelungenes Seminar viel. Ich verkleinere den Resonanzraum lieber und spüre mehr. Das muss aber jeder für sich wissen. Worauf es ankommt ist, seine Resonanz-Achsen überhaupt bewusst zu erkennen und zu verstehen, damit man priorisieren und pflegen kann und am Ende seiner 70 Sommer auf ein gelungenes Leben zurückblickt. Gerade in einer Welt, in der es weder moralisch noch wissenschaftlich ein „richtig“ oder „falsch“ gibt, sind unsere Resonanz-Achsen ein wichtiger Kompass.

Damit komme ich zu meinem letzten Erfahrungs-Beispiel. Bis vor wenigen Jahren hatte ich das, was Hartmut Rosa ein total beschleunigtes Leben nennen würde. Dann begann ich eine Projektreihe in einem Kinder- und Jugendhospiz. Die Reihe heißt „Die Zeit ist eine Brücke“ und wir haben 8 Kinder mit unheilbaren und lebensverkürzenden Krankheiten mit gesunden Jugendlichen aus guten Schulen angefreundet. Jedes Kind bekam sein eigenes Team mit 2-3 neuen Freunden aus unserem Medienverein. Die Projektreihe war meine Antwort auf das Jugendwort des Jahres „Yolo“, was zu meinem Ärgernis oft so interpretiert wurde, als solle die Generation „Komfortzone“ ihr Leben verschwenden.

Nun sollten diese zunächst völlig unterschiedlich erscheinenden Menschen und ihre Welten zusammenrücken, Brücken entstehen in gemeinsamen Medienprojekten wie Kurzfilmen, Trickfilmen, Songs, Hörspielen oder Blogs. Die Projektreihe war ein Sozialexperiment an offenen Herzen, das nur schwer kontrollierbar war und auch ganz anders verlief als ich es geplant hatte. Ohne die damalige Leiterin Marion hätte ich das nicht geschafft. Eine Frau wie ein Engel, die es besonders gut verstand, gegenüber den Eltern, den Kindern und den Mitarbeiterinnen im Kinderhospiz immer die richtigen Worte zu finden, immer einfühlsam war und echt. Sie beseelte dieses Haus im wahrsten Sinne des Wortes.

Marion gab stets Resonanz und reagierte auf Resonanz. Sie hörte zu und antwortete und nahm damit achtsam Unsicherheit von den Jugendlichen im Kinderhospiz.

Das wirkte sich auch auf die Teams aus, die mit ihr regelmäßig Reflexionsgespräche führten, um die Erlebnisse und Erfahrungen gemeinsam zu verarbeiten. Ich war damals noch sehr ungeduldig. Als Projektmanager und Seminarleiter war ich es gewohnt, am Ende eines Projekts oder Seminars zumindest ein Produkt oder eine Lernkurve zu sehen. Bei diesen Projekten war das anders. Manche der gesunden Jugendlichen waren unzuverlässig, hatten oft keine oder kaum Zeit für ihre Teams, wirkten auf mich sehr Ich-bezogen. Manche verstellten sich total, vor allem, weil wir auch ständig alles per Film dokumentiert hatten. Von den erkrankten Kindern gab es auch sehr unterschiedliche Resonanzen auf die Projekte und die neuen Freunde. Manche ließen sich offenherzig sofort auf das Abenteuer ein und sind bis heute dick befreundet. Andere wiesen uns zurück und igelten sich ein, weil wir den falschen Ton und Takt angeschlagen hatten, nicht die passende Wellenlänge gefunden haben.

Auch das Schweigen, das Ausbleiben einer Resonanz löst etwas aus, rüttelt am Selbst und am Weltbild. Es dauerte Jahre, bis aus den Projekten dann tatsächlich erfreuliche Freundschaften und Produkte wurden, wir eine unvergessliche Zeit hatten und bis heute wie ein Rudel zusammenhalten und eine Art Freundschafts-Familie aufgebaut haben. Mit manchen haben wir gemeinsam große Abenteuer bis nach Amerika ermöglicht. Andere haben ihre Berufung gefunden wie ein ehemaliger Student von Hartmut Rosa, der zwar sein Studium abbrach, aber nun eine Ausbildung zum Erzieher macht und dort mehr Resonanz als im Hörsaal erfährt. Die Welt der Wissenschaft stand ihm stumm gegenüber, aber die Welt der Praxis antwortet ihm wie in Familie und Freundeskreis mit Wertschätzung. Eben dieser junge Mann, Ronny G., war einer jener, die von ihrer Lehrerin eine vernichtende Resonanz bekamen: "Du ist nicht gut genug". Was auf der Welt gibt einer Lehrerin dieses Recht, dieses mächtige Instrument?

Mit Ronny G. (links) in Rosas Vorlesung an der FSU Jena. Ronny erfuhr im Studium zuwenig Resonanz und brach ab. Ein Freiwilliges Soziales Jahr und die Erzieher-Ausbildung waren die richtige Antwort.

Da er aber glücklich in einem stabilen Familienumfeld und Freundeskreis aufwuchs, positive Resonanz-Beziehungen hatte - auch in unserer Vereinsarbeit - hat er sich nicht aufgegeben und seinen Glauben an eine gute Welt nicht verloren. Die Erschütterung seiner Weltbeziehung wurde abgefedert. Er hatte einen Vergleich und konnte reflektieren, dass diese Lehrerin nichts in dieser Welt zu suchen hat. Ein anderer Junge aus den Projekten war vorher im Kinderheim und hatte seine wenig erfreuliche Kindheit in toxischen Pflegefamilien weit hinter sich gelassen und verdrängt. Dann bekam er im Heim von Erziehern sowie dem Verein positive Resonanz und dann von neuen Freunden, die wie eine Familie wurden. Er machte sein Abitur und studiert heute und arbeitet bewusst seine Vergangenheit auf und blickt selbstbewusst in die Zukunft.

Und dann ist da das kluge, liebe Mädchen mit unheilbarer Krankheit, das sich selbst nicht mehr bewegen kann, an ihrer Schule gemobbt wurde und jetzt mit Freund*innen aus den Projekten studiert und sogar einen neuen Verein aufgebaut hat. Persönlichkeiten haben sich mit den Jahren entwickelt. Die Erlebnisse in den Projekten und Freundschaften waren nur einige von vielen Impulsen, aber machten einen Unterschied.

Diese positiven Stories zeigten mir retroperspektiv, trotz Rückschlägen in der Vereinsarbeit, wie wichtig die zeitliche Achse ist. Vertrauen ist die Summe nicht enttäuschter Erwartungen. Beziehungen brauchen Begegnungen, Pflege und vor allem Zeit zum Reifen. Beziehungen funktionieren nicht wie Computer. Es gibt Menschen, deren Beziehung zur Welt beispielsweise durch eine Krankheit oder ein soziales Abseits völlig zerrüttet ist und erst Schritt für Schritt rehabilitiert werden muss durch positive Erfahrungen in Begegnungen. Das haben wir vor allem in der Zusammenarbeit mit Kinderheimen gelernt. Kinder in Kinderheimen haben oft ein ganz anderes Verhältnis zur Welt, weil die Resonanz-Achse zu den wichtigsten Bezugs- und Vertrauenspersonen eines Kindes stark gestört oder zerstört wurden. Das wirkt zurück auf das Selbstbild, aber auch auf die Beziehung zur Welt. Dort, wo wir uns Zeit für Heimkinder, für Resonanz-Achsen, genommen haben, als Mentoren ihre Entwicklung begleiteten, dort ist etwas gewachsen.

Nichts, das man berechnen könnte und die Durchlässigkeit der Resonanz war sehr unterschiedlich. Wer Angst hat, einen Menschen zu verlieren oder dass die Welt mit Mobbing reagiert, wird sich nicht so schnell und weit öffnen, das braucht Zeit und gegenseitiges Zähmen wie beim „Kleinen Prinzen“ oder das "Anverwandeln" bei Hartmut Rosa.

Es macht jedoch immer einen großen Unterschied, ob man jungen Menschen, egal ob im Heim, Hospiz, dem Jugendarrest, der Schule, der Uni, der Familie, dem Freudneskreis, dem Team oder im Internet Resonanz gibt, die bei der Orientierung, Selbstvertrauen und Mut helfen oder ob man mit Resonanz das Gute bereits im Keim erstickt. Pöbelt man oder ist man achtsam? Wir haben immer eine Wahl.


medienpädagische Jugendarbeit stärkt das Selbstbewusstsein und soziale Kompetenzen. Respektvolle und authentische Resonanz ist dabei ein wichtiger Schlüssel.

Es schadet nicht, Menschen auch mal das Feedback mitzugeben, dass sie in etwas gut sind und gut genug für ein gesundes Selbstvertrauen. Ihnen mal das Gefühl zu geben, dass man nicht immer perfekt sein muss, weil die Vergleichs-Welt da draußen das propagiert. Niemand ist perfekt. Es ist okay, auch verletzbar zu sein, Welt an sich zu lassen. Wenn man nicht gerade unter Haien lebt, wird man nicht gefressen, wenn man sich verwundet zeigt. Mal den Mut geben, Fehler einzugestehen, noch Entwicklungsfelder zu haben – warum nicht?

Auch Kritik und Widerstand können eine hilfreiche Resonanz sein, wenn sie nicht verletzend sind, sondern im richtigen Tonfall Orientierung bieten - gerade in einer Welt, die so komplex und ohne funktionierende Vorbilder dahin zu rasen scheint. Die Resonanz-Theorie rettet vermutlich nicht die Welt. Sie rückt aber eine machbare Alternative in den Blickpunkt: Wir können die Welt zumindest ein Stück verbessern, im Kleinen einen Unterschied machen, Welt gestalten oder heilen.

Wenn ich eine Obdachlose in einer Haltestelle liegen sehe, habe ich viele verschiedene Handlungsmöglichkeiten. Ich kann die Behörden oder die Diakonie informieren, ich kann etwas Geld oder Essen dalassen, ich kann schimpfen, sie solle sich einen Job suchen. Oder ich kann mich daneben setzen und dasein, zuhören, mich einlassen und mitfühlen, bewusst auch mal positive Rückmeldung geben, Anerkennung für etwas, was über das oberflächliche Bild der Obdachlosen hinausgeht. Wer weiß schon, was sie früher gemacht hat oder war, wenn man nicht danach fragt. Das rettet vielleicht noch nicht ihr Leben, die Wertschätzung kann aber ihr Selbstwertgefühl verbessern. Und wenn Menschen sehen, dass man anderen Menschen etwas Gutes tut und mit Respekt und Liebe begegnet, dann hat das im Kleinen auch einen viralen Effekt, der seine Kreise zieht. Wir wissen nicht, wie weit. Aber wir wissen ganz bestimmt, dass jede noch so kleine Handlung das Universum ein kleines Stück verwandelt. Man wird in eine Welt geboren, die man sich nicht aussuchen kann, aber man steht ihr auch nicht ohnmächtig gegenüber.

Theologe Prof. Dr. Heinrich Fink 1990 bei einer Mahnwache in Berlin.
Bundesarchiv, Bild 183-1990-0608-014 / Grimm, Peer

Vor wenigen Wochen verstarb nach 85 Sommern Prof. Dr. Heinrich Fink. Seine Resonanz hatte mein Leben geprägt. Es sind nur Momentaufnahmen, aber sie prägten mich unbewusst. In meiner Kindheit, in der meine Welt durch meine Familie väterlicherseits sehr zerrüttet wurde, schaffte dieser Mann mit seiner liebevollen, harmonischen Familie eine Oase. Der Berliner Theologe und in der Wendezeit Rektor der Humbold-Universität, danach Bundestagsabgeordnete, hatte in unserem kleinen Dorf im Thüringer Wald dort, wo wir Kinder oft im Wald gespielt haben, ein wunderschönes Ferienhaus. Heinrich Fink war wie ein Wunder. Ein unermüdlicher Kämpfer für die Gerechtigkeit. Einer, der Gewalt – auch verbal – immer ablehnte, immer respektvoll und sanftmütig war, aber hartnäckig. Ein kluger, feinsinniger und liebevoller Mensch, der mir als Kind das Gefühl gab, „Du bist gut genug“. Als ich nach dem Studium ein junger Mann im Zweifel war, gab er mir das Gefühl, mein Weg ist richtig und ich soll nie den Kampf um Gerechtigkeit aufgeben - wie er. Sprache und Kommunikation waren für ihn immer die wichtigsten Instrumente, um Inseln des Friedens zu schaffen, in der Gesellschaft viele kleine Brücken zu bauen. Ein Geflecht von Frieden und Gerechtigkeit. Das ist keine Zauberei, sondern bewusstes und nachhaltiges Handeln. Heinrich Fink ist gegangen, aber seine Resonanz schwingt nun weiter.

Heinrich Fink, den alle liebevoll "Heiner" nannten, mit mir beim Schunkeln auf einer Kirmes mit seinen Kindern und meiner Mutter. Ein Stück heile Welt. Heiner schaffte es stets, um sich herum harmonisch eine Insel des Friedens und der Gerechtigkeit zu schaffen, ein Stück Himmel. Ruhe in Frieden.
 

 

Kommentare

  1. Zunächst danke ich Dr. Agbazara, der mir innerhalb von 48 Stunden meinen Liebhaber zurückgegeben hat. Ich habe nichts zu sagen, als Ihnen zu danken und Ihnen zu sagen, dass ich glücklich bin .. Mein Liebhaber behandelt mich besser und verbringt die meiste Zeit mit mir und jetzt sagt er mir, wie sehr er mich liebt als je zuvor. Wenn Sie Probleme mit Ihrem Liebhaberkontakt haben Dr. Agbazara per E-Mail: ( agbazara@gmail.com ) anrufen / WhatsApp ( +2348104102662 ), weil er die Lösung für alle Probleme ist, die sich auf seine spirituellen Kräfte beziehen.

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